„Aggression“ – wenn man den Ein-Wort-Titel liest, drängt sich unmittelbar die Frage auf: „Ist Aggression böse?“
– sogleich erscheinen in meinem Kopf gewisse Vorfälle aus dem Praxisalltag als Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin, entsprechende Gefühle von Hilflosigkeit, Ärger, Wut bis hin zu Hass begleiten diese. Mir fällt aber auch ein, Hans Hopf sprach einmal über die „gute Aggression“ und die „böse Destruktivität“. Dieser Gedanke erweckt meine Neugier auf das vorliegende Buch.
Das Buch erschien in seiner ersten Auflage vor zwanzig Jahren, es war jahrelang meist nicht einmal im Antiquariat erhältlich. Hat sich Aggression seitdem verändert? So, wie sich die Gesellschaft und viele Faktoren im Bereich Bildung, Erziehung und der Psychotherapie sich verändert haben? Darauf geht der Autor gleich im Vorwort ein, das er mit einem ihm wichtigen Appell abschließt: Wir sollten Kindern generell mit liebevollen Beziehungen begegnen. „Aggression“ ist ein Fachbuch, es richtet sich vor allem an Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten in Ausbildung, als praktisch Tätige und natürlich an alle Leser, denen Kinder und Jugendliche am Herzen liegen. Ich erinnere mich an meine anfangs beschriebenen Gefühle und freue mich, dass Hans Hopf in gewohnt wertschätzender Haltung vor allem den analytischen Psychotherapeuten als Mensch mit all den oft so schwierigen Gegenübertragungsaffekten als Hauptmotiv für das Schreiben dieses Buches benennt. Und um das vorwegzunehmen – neben aller Wissensbereicherung, spannender Fallvignetten und genialer fachlicher Verknüpfung von theoretischen Ansätzen und behandlungstechnischer Verwertung fühle ich mich als Leserin und Kinderanalytikerin vor allem eines: verstanden!
Beeindruckend schon liest sich das erste Kapitel, in dem Hans Hopf gut verständlich die “Entwicklung des Aggressionsbegriffs in der Psychoanalyse“ aufzeigt, beginnend bei Freuds Konzept von der Aggression als libidinöse Strebung und schließlich als Todestrieb. Letzterer hat ebenfalls in Melanie Kleins Werk eine zentrale Bedeutung, auch sie sieht die Aggression als veränderbar an. Weiter geht es über die Sichtweise der Aggression in der Ich-Psychologie und deren Behandlungstechniken: Aggression als Abwehr von Angst und Trauer und zur Schaffung eines „beobachtenden Ichs“ in der Therapiestunde, vor allem bei strukturellen Ich-Störungen. Auch bei Winnicott und seinem Begriff der Aggression hat diese nicht nur eine Bedeutung, sie ist nicht nur Reaktion auf eine Enttäuschung, sondern vor allem eine wichtige Energiequelle des Menschen. Jeder Aggression sei eben auch eine libidinöse Beimischung zu eigen, Trieb und Aggression gehören genuin zusammen.
Es wäre kein Hopf-Buch, wenn dieser nicht die Frage nach der Bedeutung der Geschlechtsunterschiede für die Entstehung der Aggression stellen würde, um schließlich die Symptomatik dementsprechend zwischen den beiden Polen Aggression und Selbstaggression aufzuzeigen. Er kommt zu dem Fazit: „Mädchen machen häufiger den eigenen Körper zum Kampfplatz, Jungen die Straße und den Schulhof.“
Und dann lernt sie der Leser alle kennen: Ismet, Nadine, Sven und Sascha, den „Hypi“ – der Elfjährige steht symbolisch für eine Herzensangelegenheit von Hans Hopf: ADHS und dessen psychoanalytische Sicht- und Behandlungsweise, die das Kind und dessen Beziehungsdynamiken in den Mittelpunkt stellt. Es ist ihm wichtig, „psychisches Geschehen und Verstehen, Einsicht und Veränderung“ in den Mittelpunkt zu stellen und aufzuzeigen, dass dieses Störungsbild mit Nichten rein physiologisch bedingt und vererbt ist. Die Aggression zeigt sich hier als Affektmotilität, das Kind (in der Regel der Junge) ist nicht in der Lage, seine Gefühle zu mentalisieren und muss diese über den Körper abführen. Oft kann der Junge (oder das Mädchen) nicht auf die Sicherheit durch seine inneren Repräsentanzen der Primärobjekte zurückgreifen, diese sind meist durch gestörte trianguläre Prozesse zu schwach oder nahezu gar nicht ausgebildet. Das heißt in der Realität: Der Junge lebt oft mit der Mutter allein, der Vater steht, mental oder physisch, wenig oder gar nicht zur Verfügung. So bleibt das Kind in der Dyade mit der Mutter regelrecht „verklebt“, nicht in der Lage, den ödipalen Konflikt für sich positiv zu lösen, gefangen in einer Körperlichkeit, die destruktive Aggression forciert. „Wo bleibt die elterliche Verantwortung?“, fragt Hans Hopf und fühlt sich mit dieser Frage oft nicht ernst genommen, da selbst Eltern, Lehrer und Erzieherinnen nach Amphetaminen rufen. Er aber fordert erzieherische Verantwortung ein. Sehr hilfreich erscheint mir am Ende des ADHS-Kapitels eine nummerierte Liste zur Diagnose-Stellung „Aggressives Verhalten“ nach neurosenspezifischen Aspekten: Von der Beschreibung der Symptomatik über den Konflikt, die Dynamik, Untersuchung der Struktur bis hin zur ICD-10-Diagnose in zwölf Schritten.
Wie immer ist Hans Hopf die Praxis ein besonderes Anliegen und so lernt der Leser das Vorschulkind Susi sowie Achim in der Latenzzeit im schwierigen Umgang mit deren zum Teil verdeckten Aggressionen näher kennen. Hier taucht eine der wichtigsten Forderungen des Autors auf: Aggressive Kinder müssen in einem guten Rahmen begrenzt werden, innerhalb und außerhalb der Psychotherapie. Doch was ist, wenn das „kleine Monster“ diesen Rahmen ständig sprengt? Es ist Aufgabe der Psychotherapeuten, diese Widerstände und die darunterliegenden Konflikte zu erkennen, aufzugreifen und im Hier und Jetzt zu deuten. Dabei wären wir nun bei der wichtigen Überlegung Hans Hopfs zur Persönlichkeit des Analytikers. Er betrachtet die familiären und weiteren persönlichen Voraussetzungen, die zur Entstehung einer „idealen Analytikerin“ führten. Und noch bedeutender: Er setzt sich mit deren Struktur auseinander, die meist von narzisstisch-depressiver Natur ist, bei Frauen wie bei Männern. Ihre eigene Einschätzung sei, dass sie für ihre Patienten unentbehrlich seien. So versuchen sie oft, den Aggressionen des Patienten zuvorzukommen, indem sie sich besonders engagieren. Der Autor sagt dazu, dass ein Analytiker aber auch negative Affekte und Grundstimmungen aushalten müsse, in unparteiischer Grundhaltung und in Einhaltung eines festen therapeutischen Rahmens. Zur Kindertherapie gehört auch immer die Elternarbeit, hier gelten behandlungstechnisch die gleichen Bedingungen: Verbale Attacken der Eltern der Therapeutin gegenüber sind mit körperlichen Angriffen des Kindes gleichzusetzen und seien weder zu akzeptieren noch zu tolerieren.
An den Schluss seines Buches in neuer Auflage hat Hans Hopf ein neues Kapitel gesetzt, das sich mit einer ganz besonderen Form von Aggression und Destruktivität auseinandersetzt – der Amokläufer und seine narzisstische Wut. Der Autor konfrontiert den Leser mit Taten, die wir alle lieber vergessen möchten – dem Massaker auf der Insel Utoya/Norwegen, dem Amoklauf in München und dem Attentat an der Erfurter Schule: „Amoktäter haben in ihrer Kindheit und innerhalb eines problematischen sozialen Umfeldes schwere psychische Störungen entwickelt, oft aus dem narzisstischen und schizoiden Formenkreis. … Sie wurden von ihrer Umgebung nicht verstanden, in der Schule verachtet und gemobbt. … Ein auslösendes Ereignis führte schließlich zum Durchbruch von narzisstischer Wut.“ Generell gilt bei Aggression und Destruktivität in der Gesellschaft, dass man mit einfühlender Erziehung Kinder dafür sensibilisieren kann, mit anderen Menschen respekt- und würdevoll umzugehen. Damit können wir ihnen zeigen: Aggression ist eine wunderbare Kraft, die uns Menschen mit Energie ausstattet – wenn man sie richtig versteht, so, wie Hans Hopf uns das erklärt und nahe gebracht hat. „Aggression“ ist ein Buch von großer Aktualität!
Rosalinde Baunach, Würzburg
Hans Hopf: Aggression, Frankfurt a.M. (Mabuse), 2017, 216 S., 19,95€
„Der Traum hat eine kommunikative Funktion: Er ist das Licht oder auch der Schatten von etwas Wichtigem.“
– das sagt Hans Hopf über die Träume. In seinem Buch zeigt er uns, wie Kinder und Jugendliche ihre kleinen und manchmal auch großen Probleme und Konflikte in ihren Traumerzählungen darstellen. So können wir zuhören und lernen, diese zu verstehen.
Um das Resümee gleich vorweg zu nehmen – „Kinderträume verstehen“ ist ein ganz besonderes Buch über Kinder und Jugendliche – das zeigt, was sie beschäftigt, wie sie sich entwickeln, wovor sie Angst haben, was sie sich wünschen, ein echtes Hopf-Buch eben: auf fachlich gewohnt hohem Niveau, liebevoll geschrieben, von höchster Wertschätzung den Kindern und Jugendlichen gegenüber.
Das Buch erscheint in seiner 2. Auflage, diesmal im Mabuse-Verlag, nachdem es der Autor 1980 als erste Version und 1992 erneut veröffentlicht hat. Hans Hopf ist analytischer Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut, ausgezeichnet mit dem Diotima-Ehrenpreis 2013 und Verfasser zahlreicher Bücher zu den Schwerpunkten Aggression, Traum, spezielle Neurosenlehre bei Kindern und Jugendlichen sowie ADHS und Psychoanalyse des Jungen. Aber Hans Hopf ist auch Vater dreier erwachsener Kinder und Großvater von vier Enkelkindern. Zahlreiche ihrer Träume begegnen uns in seinem Buch und lassen uns zusammen mit den Träumen von Kindern und Jugendlichen aus Erzählungen, Supervisionen oder auch eigenen Therapien an deren Traum-Erleben teilnehmen.
In den ersten beiden Kapiteln geht es Hans Hopf darum, aufzuzeigen, wie sehr die kindliche Entwicklung und die jeweilige Traumgeschichte miteinander verwoben sind. Vor dem Hintergrund der kindlichen Lebensgeschichte zeigen sich uns aktuelle Konflikte, Wünsche und Ängste der Kinder, die sich oft symbolisch ausdrücken. So nimmt der Autor den relativ häufig auftretenden Angstträumen der 2-3jährigen ihren Schrecken: Er erklärt dem Leser den psychoanalytischen Gedanken, dass das noch recht schwache Ich des Kindes manchmal durch die ersten „sexuellen und aggressiven Triebregungen geradezu überschwemmt wird“ – die gute Nachricht bei dieser etwas beängstigend klingenden These ist, dass dadurch auch die Bewältigungsstrategien der jungen Träumer heranreifen können.
Im Kapitel der Träume von 4-6jährigen zeigt uns der Autor am Traum der vierjährigen Steffi eindrücklich, welch großen Stellenwert Wünsche beziehungsweise die Nicht-Erfüllung von Wünschen – und sei es auch nur der Wunsch nach einer ordentlichen Portion Pommes frites! – haben können. Hans Hopf schildert in den Träumen der Mädchen und Jungen aber auch Geschlechtsspezifisches, was ihm wohl eine gewisse Kritik der Gender-Bewegung einbringen kann: Sollten wir solche „diskriminierenden Geschlechtsunterschiede“ in der heutigen Zeit nicht überwunden haben? Die Sichtweise auf das spezifisch Weibliche oder das spezifisch Männliche – in welchem Körper es auch manchmal stecken mag – bereichert unsere Welt, die Sicht auf Weibliches und Männliches ermöglicht oft erst, die psychische Entwicklung von Mädchen und Jungen in ihrer Verschiedenheit zu betrachten und zu verstehen. Am Ende des Buches geht Hans Hopf dieser Frage auch wissenschaftlich nach, das Ergebnis ist deutlich und spannend. Und was hat das mit „Freundlichen Weiten“ und der „Sehnsucht nach Nähe“ zu tun? Das und vieles mehr kann man in „Kinderträume verstehen“ nachlesen.
Das Zeitalter der Sieben- bis Zehnjährigen wird vor allem geprägt durch die „Schwelle Schulbeginn“, Trauminhalte entstammen oft der familiären Umgebung, Themen sind Loslösung und Individuation. Die Traumbilder haben oft einen sadistischen Charakter und spiegeln die Angst, in einem Machtkampf zu unterliegen, aber auch die Suche des Träumers nach Lösungsmöglichkeiten. Hans Hopf widmet dem wichtigen Thema der Geschwisterrivalität mit Hilfe eines Traumes des siebenjährigen Lukas einen besonderen Fokus, ebenso der Bedeutung und Übertragung von Symbolfunktionen am Beispiel der Hexe in „Hänsel und Gretel“. Als Angstbewältigungsstrategie empfiehlt der Autor, dem Traum eine „Gestalt“ zu geben, also den Traum beispielsweise zu malen und dann das Blatt zu zerreißen oder auch, eine Geschichte zum Traum zu erfinden und zu erzählen.
Im Kapitel „Die Träume der Heranwachsenden“ beeindrucken vor allem die Träume von Fatma, einer türkischen Adoleszenten, die nicht wie ihre deutschen Freundinnen nur mit den Irrungen und Wirrungen der Pubertät kämpft, sondern vor allem unter der Kluft zwischen zwei Kulturen leidet. In Hinblick auf die aktuellen Flüchtlingsbewegungen nach Mittel- und Nordeuropa gewinnen die Betrachtungsweisen des Autors an besonderer Bedeutung. So spricht Hans Hopf auch über die Träume von traumatisierten Kindern und Jugendlichen: Albträume kommen vermehrt vor, körperliche Reaktionen sind von den Träumenden oft noch nach dem Aufwachen spürbar. Aufgrund der Aktualität der Thematik möchte ich hier einen Traum des somalischen Flüchtlingsmädchens Bahja wiedergeben:
„Ich bin auf der Flucht. Ich fühle mich sehr traurig. Es herrscht Krieg, ich und andere Kinder sind geschlagen worden. Ich habe viel Blut am Körper. Zwei Kinder sitzen am Wegesrand, ich möchte ihnen helfen. Ich frage die beiden: Wo ist denn eure Familie? Die Kinder antworten: Die sind tot. Ich denke: Ich bin nicht schuld. Ich frage mich: Wieso gibt es so viel Hunger? Ich frage andere Menschen: Bitte helft! Bitte helft!“
Hans Hopf benennt diesen Traum mit treffenden Worten: „Er (der Traum) ist ein beispielloser Appell an die Mitmenschen. Es geht um Angst und Depression, um Verletzung und Tod. Und durch den gesamten Traumtext zieht sich die Frage nach der Schuld. Bahjas Traum ist ein Aufruf zum Mitfühlen, zur Hilfe und Wiedergutmachung. Beweggründe, die heutzutage leider oft verdrängt und vergessen, oder in Hass und Aggression verwandelt werden.“ Besonders berührt fühlt sich der Leser vielleicht auch durch das Kapitel „Erwachsene erinnern sich an Träume ihrer Kindheit“, spürt man doch dann das Kind in sich selbst wieder.
Dem Autor sind Träume ein wichtiges Thema von höchster Bedeutung beim Verstehen der inneren Welt des Träumenden, ein „Königsweg zu allen Bereichen der Persönlichkeit, zu menschlichem Verhalten und Erleben“. Genauso, wie ihm die Kinder am Herzen liegen. In seinem Buch hat Hans Hopf beides vereint: Träume sind ein Weg ins Unbewusste der Kinder. Wenn wir ihnen gut zuhören und ihre Träume mit ihnen gemeinsam nacherleben, erschließt sich eine wunderbare Möglichkeit, die Kinder und Jugendlichen und ihre Welt besser zu verstehen.
Rosalinde Baunach, Würzburg
Hans Hopf: Kinderträume verstehen, Frankfurt a.M. (Mabuse), 2016, 217 S., €16,95
Wie Krankheiten des Kindes zum Sprachrohr für dessen ungelöste Konflikte werden können.
Das Buch von Hans Hopf beschreibt aus psychoanalytischer Sicht, wie Krankheiten zu einer intersubjektiven Verstehensweise zwischen Kind und Eltern beitragen können.
„Wenn Kinder krank werden“ ist ein grundlegendes Werk für alle Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten, aber auch für alle, die Kinder lieben und verstehen möchten und die mit deren Erziehung und Begleitung betraut sind – Eltern, Erzieher, Lehrer. Das Buch erscheint in seiner 2. Auflage, diesmal im Mabuse-Verlag undmit neuem Titelbild, der Abbildung eines Gemäldes von Henriette Browne, „Die barmherzige Schwester“. Es zeigt ein kleines krankes Mädchen, in eine Decke gewickelt, das schlaff auf dem Schoße einer Dame liegt, die ihm die Hand hält. Beim Anblick der Kleinen empfindet man tiefes Mitleid und wünscht ihr von Herzen, dass sie bald wieder genese und lebendig spielen könne.
Der Autor Hans Hopf ist analytischer Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut, ausgezeichnet mit dem Diotima-Ehrenpreis 2013 und Verfasser zahlreicher Bücher zu den Schwerpunkten Aggression, Traum, spezielle Neurosenlehre bei Kindern und Jugendlichen sowie ADHS und Psychoanalyse des Jungen. Aber Hans Hopf ist auch Vater dreier mittlerweile erwachsener Kinder. Am Heranwachsen dieser Kinder lässt er den Leser in den acht Kapiteln des Buches teilhaben – wie auch an zahlreichen Fallvignetten aus seiner langen psychotherapeutischen Laufbahn. All diese Kinder lassen das Buch so lebendig erscheinen und das Lesen zur vergnüglichen Beschäftigung werden.
Gleich im ersten Kapitel zeigt der Autor, dass eine Erkrankung des Kindes oft als Hilferuf zu verstehen ist, als Ausdruck von Problemen und Konflikten, die so manches Mal von Eltern und Erziehenden nicht so wahrgenommen werden, wie sie sich für das Kind darstellen. Dabei geht es Hans Hopf nicht nur um die Hilflosigkeit des Kindes, sondern genauso um die oft ohnmächtige Hilflosigkeit der Eltern, für die es um die schwierige Entscheidung geht, Regression oder Progression zuzulassen und um die Anerkennung, dass eine solche Entscheidung nicht leicht zu treffen ist: Sollte das Kind eher behütet und beschützt werden oder sollte dessen Streben nach Loslösung und Autonomie unterstützt werden? Der Autor jedenfalls plädiert für eine einfühlsame Haltung und ein Grundvertrauen, das in der mütterlichen und väterlichen Haltung einer ausgewogenen Erziehung zum Ausdruck kommt.
Hopf möchte den Dingen auf den Grund gehen. Nicht die Tatsache, dass Pascal eine Essstörung hat, ist für ihn entscheidend, sondern die Frage warum Pascal nicht isst, kein Verlangen nach Nahrung hat: Vielleicht spürt der Junge die Ablehnung des Vaters, der mit seinen eigenen Problemen beschäftigt ist. Oder dass seine Mutter so unzufrieden ist, weil sie ihren geliebten Beruf derzeit nicht ausüben kann. Und dann stellt sich die Frage, ob man Pascal gewähren lassen sollte oder ob es um erzieherische Prinzipien geht und die Situation durch Ausübung von Druck („Du musst jetzt aber essen!“) außer Kontrolle geraten könnte. Doch auch hier beruhigt der Autor, spricht vom „Vertrauen ins eigene Gefühl“ und plädiert für ein „Verstehen wollen“ – auch dem Verstehen der eigenen Ängste als Mutter oder Vater. Träume und Ängste von Kindern und Jugendlichen sind Schwerpunkte der psychoanalytischen Arbeit des Autors. So verwundert es nicht, dass er dem Thema Schlafstörungen ein eigenes Kapitel widmet. Was Angstträume, die Kinder oft wiederkehrend erleben, für Schrecken und Symptome wie Herzklopfen und Zittern mit sich bringen können, zeigt er in zwei Illustrationen, die diese ungehaltenen Affekte der kleinen und größeren Träumer bildlich zum Ausdruck bringen. Und wieder bezieht der Kinderanalytiker die Eltern mit ein und fragt nach deren Handlungsmöglichkeiten – nie jedoch mit erhobenem Zeigefinger, sondern immer in wohlwollender, verstehender und motivierender Haltung.
Im fünften Kapitel konfrontiert Hans Hopf den interessierten Leser mit der nicht unbedingt üblichen Sichtweise, dass auch Unfälle unter gewissen Umständen als Krankheit und somit nicht als Zufälle zu bewerten sein können. Wichtig sei dabei das Hinterfragen der unbewussten Motive, um den zugrunde liegenden Konflikt erkennen, bearbeiten und hoffentlich lösen zu können. So sei der Unfall des Kindes manchmal eine Wiederbelebung alter ungelöster Konflikte zwischen Eltern und Kind – eine versteckte seelische Problematik komme zum Vorschein und biete nun Lösungsmöglichkeiten. Überhaupt ist es Hans Hopf gemäß seiner Natur wichtig, den Fokus auf das Positive zu legen und Krankheit nicht als Bestrafung, sondern als Chance zu sehen: „Ins Krankenhaus“ muss der kleine Matthias, und seine Mutter darf ihn begleiten. Als Leser hat man das Gefühl, mit dabei zu sein, wenn Hopf durch die Mutter den Krankenhaus-Aufenthalt des kleinen Patienten schildert und dessen Angst und Schmerzen regelrecht spürbar macht. Aber auch Themen wie die Mode-Diagnose ADHS und die liebevolle Sichtweise auf das Weibliche im Mädchen und das Männlichen im Jungen (sowie die Betonung, dass diese Unterschiede bereichernd sind!), dürfen in einem Hopf-Buch nicht fehlen.
Es wäre auch kein Hopf-Buch, wenn der Autor nicht Sorge für die Informationsmotivation des Lesenden tragen würde. Er stellt dafür eine Sammlung an Empfehlungen weiterführender Literatur sowie Internetadressen an den Schluss des Buches. Wenn man dem Autor eines anlasten könnte, dann sicherlich die Tatsache, dass man dieses Buch leider viel zu schnell ausgelesen hat. Zwischen den Zeilen fühlt man sich dann den Seelen der kranken Kinder – auch ohne vertieftes psychoanalytisches Verständnis – ganz nahe. Wer wissen möchte, wie kranke Kinder sich fühlen, der muss das Buch von Hans Hopf lesen.
Rosalinde Baunach, Würzburg
Hans Hopf: Wenn Kinder krank werden. Eine kleine Psychosomatik von Husten, Schnupfen, Heiserkeit, Frankfurt a.M. (Mabuse), 2015, 180 S., €16,90